Siegfried Kracauer:

DAS SCHREIBMASCHINCHEN

Frankfurter Zeitung, 1. Mai 1927 - wieder abgedruckt in: Siegfried Kracauer: Straßen in Berlin und anderswo. Berlin 1987, S. 82-86.

Seit kurzem nenne ich eine Schreibmaschine mein eigen. Ich habe zuvor noch nie eine Maschine besessen. Es wäre mir auch unerfindlich gewesen, wie ich in ihren Besitz hätte gelangen sollen. Gewiß, die meisten Menschen machen es sich damit leicht. Sie betreten ein fachmännisch gebildetes Geschäft, prüfen die Fabrikate und wählen ein passendes aus. Aber der Gedanke, eine Maschine wie einen Schlips zu kaufen, sie sozusagen auf öffentlichem Wege zu erwerben, war mir niemals gekommen; ich hielt ihn für vermessen und billigte ihn nicht. Nur durch eine Verkettung sonderbarer Umstände, die aufzurollen das einfache menschliche Taktgefühl verbietet, geriet die Maschine in meine Hand. Wie ein herrenloses Hündchen lief sie mir zu. Ihm die Aufnahme zu verweigern, wäre Unrecht gewesen.
Von dem ersten Augenblick an liebte ich die Maschine ihrer Vollkommenheit wegen. Sie ist graziös gebaut, federleicht und blitzt im Dunkeln. Das Gestänge, das die Typen trägt, hat die Schlankheit von Flamingobeinen. Wenn ich, was oft geschah, in ihre Betrachtung versank, gewann ich stets den Eindruck, daß man ihr nichts hinzufügen oder wegnehmen könne; so wie sie war, mußte sie sein. Mitunter kroch ich nach dem Schlafengehen noch einmal aus den Federn, öffnete den Kasten und stellte die Maschine neben mich auf den Stuhl. Dann erst schlummerte ich ein. Während einiger Nächte verfolgte mich ein böser Traum. Ich träumte, daß ich bei der Ankunft in einer fremden Stadt - sie lag im Süden, ich entsinne mich ihrer deutlich - die Maschine als Handgepäck aufgegeben hätte, ganz so, als sei sie ein Koffer. Leichtsinn ist mir nicht angeboren, eher bin ich pedantisch. Der Gang durch die Stadt war eine einzige Folter.
Lange Zeit hindurch wagte ich nicht, die Maschine zu benutzen. In ihrer Vollkommenheit erschien sie mir ein höheres Wesen, das durch Mißbrauch nicht geschändet werden durfte. Nur verlegen liebkoste ich - damals in den Anfängen unserer Beziehung - ihre kühlen Teile. Die leichte Berührung schon machte mich glücklich. Oder ich ließ die Walze laufen und verstellte die Spulen. Wenn die Menschen, die mich besuchten, das Maschinchen nicht bewunderten, haßte ich sie.
Allmählich gewöhnte ich mich an das Maschinchen. Der Umgang mit ihm veredelte mich. Hatte ich früher mit dem Geschriebenen etwas ausdrücken wollen, so lernte ich nun begreifen, daß allein die Tätigkeit des Schreibens selber erstrebenswert sei. Auf große Papierbogen von untadeliger Weiße setzte ich Zahlenkolonnen und Buchstabenbilder, die nicht die geringste Andeutung eines Sinnes enthielten. Zum Lohn für das zwecklose Tun, das in zartsinniger Weise der Vollkommenheit des Maschinchens huldigte, war es immer zu meinem Empfang bereit. Es galt mir bald mehr als eine Frau oder die Freunde. Wir schnellten von dem linken Bogenrand ins Unbekannte vor und fuhren wieder zurück; jeder Fleck des Papiers wurde mit Chiffren bedeckt. Wochen verstrichen uns so. Selige Stunden verbrachten wir in der Dämmerung, wenn ich die Tasten nicht mehr recht sah. Ich phantasierte dann, wie die Empfindung mich trieb, und herrliche Gebilde aus Zeichen sprangen hervor. Festfahnen gleich flatterten sie über den hellen Gründen. Immer seltener suchten die Menschen uns auf. Sie verstanden die Schriftfiguren nicht und schüttelten bedenklich die Köpfe. Zuletzt blieben sie aus. Ich bedurfte ihrer nicht; vor mich hinzuklimpern war mir genug. Oft gingen die Tasten von selber weiter, so unzertrennlich verbunden war das Maschinchen mit mir. Die beschriebenen Papierbogen häuften sich in meinem Zimmer.
Eines Tages trat ein unvorhergesehenes Ereignis ein: das Maschinchen wurde krank. Eigentlich nicht das Maschinchen, und auch krank wäre zuviel gesagt. Nur eine geringe Taste versagte, ganz am Rand ein Tästchen. Sie schwang sich zwar in die Höhe, blieb aber, noch ehe sie ihr Ziel erreicht hatte, ermattet stehen. Das Maschinchen besitzt viele Tasten, und man hätte auf die Bewegung der einen Taste gewiß verzichten können. Sie enthielt den accent grave, den accent circonflexe und die cédille ohne c. Rein auf den Inhalt angesehen, handelte es sich also um eine Taste von lächerlicher Nichtigkeit, die von jedem anderen kaum bemerkt worden wäre. Doch für mich war gerade diese Taste unentbehrlich, da ich mit ihr besondere Kombinationen durchzuführen vermochte. Ich schlug etwa die cédille in langer Kette an und stellte darüber den accent circonflexe. Nun saß er wie ein Dach auf dem Leeren, aus dem ein Schwänzchen schlüpfte. Setzte ich ein e dazwischen, so war die cédille überflüssig, und das c hatte unter dem Dach nichts verloren. Die Beschäftigung mit diesen Problemen, deren Feinheit mich wieder und wieder entzückte, wurde durch die Lähmung der Taste verhindert. An eine ernsthafte Krankheit glaubte ich nicht. Die Maschine ist verstimmt, so erwog ich im stillen, gewissermaßen eine vorübergehende Indisposition. Bei ihrer Vollendung mochten auch Gedankensünden, uneingestandene Schwankungen des Gemüts einen Einfluß auf sie gewinnen. Vergeblich rief ich mir die Tage und Nächte unseres Zusammenseins ins Gedächtnis zurück, um mich auf einem Verstoß zu ertappen. Hatte ich in einer schwachen Minute den Anschein der Gleichgültigkeit erweckt? Durch verdoppelte Sorgfalt suchte ich das Maschinchen wieder auszusöhnen. Ich zwang mich in seiner Gegenwart zur Fröhlichkeit und ersann neue Spiele auf der Tastatur, die das lahme Stängchen vielleicht zerstreuten. Indessen, sein Zustand veränderte sich nicht.
Es drang ein fremder Mann in mein Zimmer. Während der letzten Tage hatte die Unruhe mich aus dem Haus getrieben. Wenn ich auch meinen Kummer ängstlich verbarg, so konnte er doch von einem Caféhaus-Bekannten bemerkt worden sein. Am Ende hatte er mir den Mann geschickt; nur so jedenfalls ließ sich seine Anwesenheit ungezwungen erklären. Die Züge des Mannes waren grob, ohne einer Art von populärer Gemütlichkeit zu entraten; er trug eine große schwarze Tasche unter dem Arm. Der Mann verlangte das Maschinchen zu sehen, das verwaist auf dem Bette stand. Im Bewußtsein meiner Machtlosigkeit begnügte ich mich damit, ihn scharf zu beobachten. Wie er durch das Zimmer schritt, zertrat er unbedachtsam mehrere Papierbogen, die aus Platzmangel auf dem Boden lagen. Den Kasten öffnete er mit einem Griff.
Um den Mann von seinem Vorhaben abzulenken, sprach ich in einem fort. »Ist es nicht ein wunderbares Maschinchen«, sagte ich hastig, »die eine Taste freilich fühlt sich im Augenblick etwas unwohl, ich weiß es, aber ich benötige sie gar nicht, sie ist so empfindlich, müssen Sie wissen, man sollte sie nur schonen und gut zu ihr sein, ich weiß genau, daß sie sich von selber wieder ermuntern wird, wenn bestimmte Vorbedingungen erfüllt sind, die in Bälde eintreten werden, müssen Sie wissen.« - Der Mann antwortete mir nicht. Er legte die Tasche auf den Stuhl, hob das Maschinchen in die Höhe und betrachtete es mit Kennerblicken von unten. Mein Schamgefühl war verletzt. Nie noch hatte ich, der ich doch mit dem Maschinchen zusammen lebte, das Untere mit solchen Blicken gemustert wie er. Jetzt redete er mich an; vielleicht war es auch nur ein Monolog. Ich müsse zu fest auf die Taste gedrückt oder das Gestänge zerknittert haben. Verwirrt schaute ich zu Boden. Der Schein sprach gegen mich.
Bedächtig entfaltete der Mann seine Tasche. Ein Glanz drang aus ihr, der mich quälte. Er ging von riesigen Schraubenziehern aus und von Zangen, die Geburtszangen glichen. Ich wollte nicht hinsehen und war doch von den gewalttätigen Stahlkurven gebannt. Der Mann streifte die Ärmel empor; er erinnerte mich an meinen Hausarzt, der mich als Kind einmal operierte. Mit seinen plumpen Fingern nahm er das verletzte Flamingobeinchen und richtete es auf. Furchtsam verharrte es in der ihm angewiesenen Lage. Auch die Nachbarstangen teilten sein Schicksal. Nach etlichen weiteren Handgriffen rief der Mann mich herbei und hieß mich in das Innere sehen. Bisher hatte ich immer nur mit einem Bürstchen die Außenteile blank geputzt. Nun breitete sich ein Wunderwerk vor mir aus, lauter Spirälchen und Schrauben, die Welt im Wassertropfen. Ich war gerührt und schämte mich nicht.
Die schrecklichen Instrumente begannen jetzt in den Eingeweiden zu wühlen. Ich hatte mich abgewandt, der Anblick war unerträglich. Von ferne hörte ich, wie die Stahlzangen knackten, und mir schien, als sei ein leises Stöhnen das Echo. Wut faßte mich an; nur war ich zu feig, sie zu äußern. Sie verdichtete sich zu dem einzigen Wunsche, daß das Maschinchen zerstört werden möge. Es ist mein Maschinchen, dachte ich mir, und ein fremder Mann, der es rein mechanisch auffaßt, hat es in seiner Gewalt. Wenn es aber mein Maschinchen ist, mein zartes Maschinchen, mit dem ich einst in der Dämmerstunde improvisierte, so kann es diesen Eingriff nicht überdauern. Der fremde Mann soll es zugrunde richten, ich wünsche, daß er es in Stücke zerschlägt. Dann werde ich die Trümmer sammeln, ich werde reine Papierbögen um sie wickeln und das Paket in meiner Schublade verwahren ...
Es mußte wenigstens eine halbe Stunde vergangen sein. Der Mann hatte die Instrumente zusammengelegt und spannte gerade in das Maschinchen, dem äußerlich nichts anzumerken war, einen meiner Bogen ein. Er tippte, wie die Leute zu sagen pflegen. Ohne eigentlich hinzublicken, sah ich: die Taste ging. Auf dem Bogen stand geschrieben: fête, ça, maître, ma chère. Durch private Fortbildung, erklärte der Mann, habe er sich alle französischen Vokabeln angeeignet, die für sachgemäße Reparaturen erforderlich seien. Er teilte mir die Unterschiede der Fabrikate mit, und daß er ein jedes kenne. Man muß mit Maschinen umgehen können. Es empfiehlt sich, nicht zu fest auf die Tasten zu schlagen.
Das Maschinchen war in Ordnung; die Maschine war repariert. Ein fremder Mann kam ihr brutal, und sogleich war sie ihm zu Gefallen. Daß ich mit der Aufbietung meiner Kräfte mich um sie gesorgt hatte, bedeutete ihr nichts. Meine Liebe zu der Schreibmaschine erlosch. Sie war nur eine von vielen, die alle künstlich hergestellt wurden und nach Bedarf ausgebessert werden mochten. War die eine erledigt, so konnte man eine andere kaufen. Ihr nachzutrauern verlohnte sich nicht. Es gibt Fabriken und Läden, in- und ausländische Marken stehen zur Wahl.
Ich gehe wieder unter Menschen und suche bescheidene Freuden im Verkehr mit den Frauen. Die Maschine gebrauche ich wie ein Ding. Das Geschriebene besteht aus Korrespondenzen, Rechnungen und Betrachtungen gefälliger Art. Meine Freunde sind zufrieden mit mir, weil sie die Schriftstücke verstehen und das Zimmer stets aufgekehrt ist.


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