Digitale Fingerübungen auf traurigen Tasten - eine Fussnote für Schreibhandwerker

Michael Böhler elektronisch übermittelt von Peter Utz

Die Benutzeroberfläche besinnt sich auf ihre historische Tiefe: Auf einer umfangreichen deutschsprachigen Literaturseite des Internet wird der Surfer von einem Benjamin-Zitat empfangen, das dem Autor dieser Homepage offenbar identifikatorisch eingeleuchtet hat:

»Die Schreibmaschine wird dem Federhalter die Hand des Literaten erst dann entfremden, wenn die Genauigkeit typographischer Formungen unmittelbar in die Konzeption seiner Bücher eingeht. Vermutlich wird man dann neue Systeme mit variabler Schriftgestaltung benötigen. Sie werden die Innervation der befehlenden Finger an die Stelle der geläufigen Hand setzen.«

Auf http://literatur.lake.de liest sich die Formulierung Benjamins aus der »Einbahnstrasse« von 1927 als eine Prophetie der Gegenwart: Die Internetseite selbst verdankt sich einem »neuen System mit variabler Schriftgestaltung«, und »die Innervation der befehlenden Finger«, die auch diesen Text in die Tasten getippt haben, hat den Federhalter abgelöst. Diese Schreibnerven sind in unzähligen Synapsen ins Internet hinausgewachsen, so daß sie Anschlußstellen finden können, soweit das Netz reicht. Obwohl die technisch-literarische Innovation so forsch nach vorne steuert, schafft sie in diesem emblematischen Zitat den Anschluß an die Tradition - beim Sprung in die Zukunft sucht man den Rückhalt der Vergangenheit.

Dieses Legitimationsbedürftnis der Gegenwart ist selbst wieder historisch zu befragen: Weshalb scheint hier die elektronische Tastatur dem »Federhalter« nachzutrauern? Soll uns das Zitat über die »Entfremdung« unseres heutigen Schreibgeräts wegtrösten? Liefert es einen Erkenntnisgewinn oder bloß eine legitimierende Aura? Welches ist die Konstellation zwischen Gegenwart und Vergangenheit, die sich so - wieder in Benjamins Sinn - eröffnet? - Eine Antwort sei hier mit einigen historischen Anmerkungen und der Lektüre einiger Paralleltexte versucht. Also mit dem, was einmal »Glosse« oder »Randbemerkung« hieß, dann als »Fußnote« in eine eigene Rubrik abtauchte, bevor es sich nun zum horizontalen »Link« gewandelt hat.

Das Benjamin-Zitat weist auf eine frühere Bruchstelle in der Entwicklung des »Aufschreibsystems« Literatur zurück, an der jene Fragen zum ersten Mal auftauchen, welche die elektronischen Schreibsysteme heute stellen: Es ist die Epoche der Generalisierung der Schreibmaschine. In den zwanziger Jahren wird sie zum erschwinglichen, einigermaßen zuverlässigen Massenprodukt. Sie drängt sich vor allem jenen Autoren auf, die sich ihren Lebensunterhalt Tag für Tag in den Zeitungen erschreiben, und die damit am direktesten in den industriellen Prozeß der »Textverabeitung« eingespannt sind, auch wenn diese noch nicht diesen Namen trägt. Es sind dies die Feuilletonisten, auch leicht despektierlich »Literaten« genannt. Zu ihnen muß sich auch Benjamin zählen - die Sammlung »Einbahnstraße« von 1928, in welcher sich der zitierte Aphorismus im Abschnitt »Lehrmittel« findet, faßt Texte zusammen, die zumeist schon als Feuilletons publiziert worden sind.

Benjamin macht die Schreibmaschine zwar zum grammatischen Subjekt seines Gedankengangs, und er sieht es als eine Gefahr, daß sie dem Schriftsteller den Federhalter gewissermaßen aus der Hand nehmen könnte. Doch dieser Schritt scheint ihm mit den klappernden Typewriters der Zeit nicht vollzogen, denn sie sind ja noch nicht jene »Systeme mit variabler Schriftgestaltung«, welche die »geläufige Schreibhand«, die für ihn ein ganzheitliches Schriftbild ermöglicht, durch die »Innervation der befehlenden Finger« ablösen will. Erst diese Revolution wird die Schreibhand entmachten und den Fingern die volle Befehlsmacht über den Text übergeben. Dann erst - so die implizite Voraussage Benjamins, die erst in der Gegenwart eingelöst scheint - wird die Schrift im Wortsinn »digitalisiert« sein: mit den Fingern geschrieben. Diese hat man sich früher nur mit Tinte schmutzig gemacht, und dafür konnte man aus ihnen inhaltliche Inspirationen saugen. Wenn diese Finger nun tippend die Schreibmacht an sich reißen, wird aus dem handschriftlichen »Schriftbild«, das man noch als »analog« bezeichnen kann, obwohl es sich der Sprachzeichen bedient, ein »digitales« Schreibsystem, das einzelne »Digits« den einzelnen Fingern zuordnet. Das entspricht dem Übergang vom Federhalter zur Schreibmaschine, vom individuellen Schreibhandwerker zur anonymisierten industriellen Textproduktion. Über diese erste industrielle Revolution des Aufschreibsystems hinaus sieht Benjamin schon jene zweite voraus, die den Textproduzenten zwar wieder als Herr über das Schriftbild einsetzen wird, ihn damit jedoch auch ganz allein dem unabsehbaren Markt der Schriftbilder ausliefert, im »Netz« und auf dem Papier.

Zu diesem visionären Blick auf die eigene Schreibgegenwart kommt Benjamin aber nicht, ohne sich selbst auf eine Diskussion zu beziehen, die in seiner Zeit im Feuilleton ausgetragen wird. Alfred Polgar sieht schon 1922 in seinem Feuilleton »Die Schreibmaschine«, wie die Maschine selbst zu einem »unerschöpflichen Quell und Born der Dichtkunst« werde, weil sie selbst die »Finger« befruchte: »In der Tat scheint es, als gebe auf ihr, wie man sagt: ein Wort das andere. Unwillkürlich webt sich unter den tastenden Fingern die Kette. Ist das Instrument heiß gelaufen, so spielt es den Spieler. Da steckt das Mysterium.« Zudem mache die Schreibmaschine nun auch »ein Dichten mit beiden Händen« möglich. »Damit wurde für die Schrift gewonnen, was bisher ein wesentliches Privileg der Rede war.« Polgar deponiert so ein altes Stereotyp von der Geschwätzigkeit des Feuilletonisten, verbunden mit der impliziten Anspielung auf das Stereotyp der starken Gestik, die das jüdische Reden begleite, in die Tasten der »Schreibmaschine«. Und am Schluss versteigt auch er sich schon zu einer Vision der künftigen Entwicklung, die in ihrer Radikalität der Prognose Benjamins nicht nachsteht:

»Für die Literatur als Kunst wird die Schreibmaschine freilich erst dann was Rechtes bedeuten, bis ihre wunderbaren Kräfte ungeschwächt durch das trübe Medium des angehängten Schriftstellers zur Auswirkung kommen werden. Die Entwicklung muß hier, wie bei jeder Maschine, dahin streben, die notwendige menschliche Mitarbeit immer mehr und mehr einzuschränken. Der Tag, an dem es gelungen sein wird, den Schriftsteller ganz auszuschalten und die Schreibmaschine unmittelbar in Tätigkeit zu setzen, wird das große Zeitalter neuer Dichtkunst einleiten.«

Einerseits gilt diese feuilletonistische Pointe dem Feuilletonbetrieb selbst. Denn dieser treibt wie kein anderes literarisches Medium die Enteignung und Anonymisierung der Autorschaft, ja die Abschaffung des Autors selbst, voran. Der Tod des Autors, den der Poststrukturalismus proklamiert hat, ist im Feuilletonbetrieb längst Realität: In dieser Maschine des Schreibbetriebes wird der traditionelle Autor früh und gründlich zermahlen. Gleichzeitig jedoch wird in Polgars feuilletonistischer Fingerübung auf der »Schreibmaschine« der Text auch autoreflexiv und literarisch. Denn er zeigt ja vor, was er behauptet: daß die »Schreibmaschine« einen literarischen Text inspiriert. Und Polgar speist die »Schreibmaschine« als Text gleich mehrfach wieder dem Feuilletonbetrieb ein, wodurch sie ihm auch mehrfaches Zeilenhonorar ausspuckt - der Text erscheint zunächst am 1. 10. 1922 im »Prager Tagblatt«, dann am 1. 1. 1926 in »Der Tag«, und im selben Jahr in der Sammlung »An den Rand geschrieben«.

In den gleichen Jahren überlegt sich Robert Walser in einem seiner zahllosen, nicht publizierten Mikrogrammtexte der Berner Zeit, ob er sich nicht auch eine Schreibmaschine zulegen solle. Denn wie kaum ein zweiter liefert er sich dem Verwertungsbetrieb des Zeitungsfeuilletons aus. Im Prosastück »Der Buchdeckel«, das 1920 in der »Neuen Zürcher Zeitung« erscheint, wird daraus die ernstzunehmende Frage: »War ich nicht beinahe eine Schreibmaschine?« - Schreibmaschine-Sein oder Schreibmaschine-Haben: dies scheint für Walser eine existentielle Frage, die er mit seinen Dichterkollegen im virtuellen Gespräch diskutiert. Im Mikrogrammtext »Mit kraftvoller Zartheit« ist es ein »namhafter Kollege«, der ihm das Schreiben mit der Maschine empfiehlt. Doch die Frage, »ob nicht auch mir der Schreibmaschinengebrauch dienlich wäre«, wird durch das »Ich« des Textes verneint: Es hat sich bisher auf seine »beiden Hände« gestützt, die dabei zu »etwas Kultiviertem« geworden sind. Darum entschließt sich das »Ich« trotz aller »Schreibmaschinenbedenklichkeit«, »der Handschriftidee, dem Fingergesetz« treu zu bleiben. Anders als Polgar scheint Walser schon seit langem mit »beiden Händen« zu schreiben. Und anders als Benjamin sieht Walser keinen Gegensatz zwischen Tippfinger und Schreibhand. In jener »zähen und ausdauerlichen Handschriftbejahung«, die sich der Text am Schluß noch einmal attestiert, entwickelt Walser auch sein System der mikrographischen Bleistiftentwürfe. Es wird hier lesbar als eine explizite Absage an die maschinelle Schrift. Doch Walsers »mit kraftvoller Zartheit« und unvergleichlicher Zähigkeit vorangetriebenes Schreiben, mit dem er Tag für Tag den Feuilletonbetrieb beliefert, hat trotzdem eine irritierende Nähe zum Seriellen und Maschinellen. Insofern erfindet Walser in den Mikrogrammen seine eigene, höchst private Bleistiftschreibmaschine.

Das zeigt sich auch darin, daß jene Texte, die Walser mit der Feder ins Reine schreibt und die in den Zeitungen publiziert werden, die Textur der Schreibmaschine zu verraten scheinen. Typisch dafür ist die für das Feuilleton charakteristische Linearität der Schrift. Diese nimmt auch Benjamin an Walser wahr. Er rechnet Walser in seinem Artikel von 1929 fraglos zu den Feuilletonisten und nennt ihn mit Polgar und Hessel in einem Atemzug. Und darum will Benjamin auch gerne glauben, Walser habe »in seinen Sachen nie eine Zeile verbessert« - das wäre das perfekte serielle Schreibsystem, nicht nur, weil der Feuilletonist seine Texte am laufenden Band produziert, sondern weil in dieser Zeit die Schreibmaschinen noch keine Korrekturtaste aufweisen. Nur wer seine Texte in einem Zug niederschreibt, ist im Feuilletonbetrieb der perfekte Schreibmaschinist.

So kann die Mechanisierung des Schreibens nicht nur die Produktion, sondern auch die Rezeptionsmuster von Schrift beeinflussen. Bei Benjamin zeigt sich dies auch gegenüber Siegfried Kracauer. Dieser publiziert am 1. Mai 1927 in der »Frankfurter Zeitung« ein Feuilleton mit dem Titel »Das Schreibmaschinchen«. Benjamin rühmt dieses Feuilleton zwar in einem Brief an Kracauer vom 5. Juni 1927. Er findet in Kracauers Text aber seine Meinung bestätigt, es sei besser, keine Schreibmaschine zu besitzen, und deshalb setzt er gleichzeitig zu einer Lobeshymne auf seinen neuen Füllfederhalter an. Möglich, daß hier auch der Anlaß ist zur zitierten Notiz in der im Jahr darauf publizierten »Einbahnstrasse«. Denn in Kracauers Text werden - in scheinbar harmloser, das heißt feuilletonistischer Form - weitreichende Umbrüche im Schreibsystems schon thematisiert.

Noch entschiedener als Polgar macht Kracauer »Das Schreibmaschinchen« zur Muse und Geliebten zugleich. Es ist Liebe auf den ersten Blick: »Sie ist graziös gebaut, federleicht und blitzt im Dunkeln. Das Gestänge, das die Typen trägt, hat die Schlankheit von Flamingobeinen.« Zunächst bleibt es bei platonischer Verehrung: »Lange Zeit hindurch wagte ich nicht, die Maschine zu benutzen. In ihrer Vollkommenheit erschien sie mir ein höheres Wesen, das durch Mißbrauch nicht geschändet werden durfte.« Doch die körperliche Attraktion ist stärker: »Nur verlegen liebkoste ich - damals in den Anfängen unserer Beziehung - ihre kühlen Teile. Die leichte Berührung schon machte mich glücklich.« Je mehr sich dieses zärtliche Verhältnis zur Maschine intensiviert, desto stärker isolieren sich die Liebenden von der Welt:

»Selige Stunden verbrachten wir in der Dämmerung, wenn ich die Tasten nicht mehr recht sah. Ich phantasierte dann, wie die Empfindung mich trieb, und herrliche Gebilde aus Zeichen sprangen hervor. Festfahnen gleich flatterten sie über den hellen Gründen. Immer seltener suchten die Menschen uns auf. Sie verstanden die Schriftfiguren nicht und schüttelten bedenklich die Köpfe. Zuletzt blieben sie aus. Ich bedurfte ihrer nicht; vor mich hinzuklimpern war mir genug. Oft gingen die Tasten von selber weiter, so unzertrennlich verbunden war das Maschinchen mit mir.«


Doch dieses typographische Liebesglück ist nicht von Dauer. Eine Taste versagt. Zwar ist es nur eine am Rande, die »den accent grave, den accent circonflexe und die cédille ohne c« enthält. Sie zu reparieren, tritt der Rivale auf: ein »fremder Mann« greift schamlos ins Innenleben des Maschinchens, nimmt es in seine »Gewalt«, um es zu reparieren. Heute wäre dies Wartung »on site«; bei Kracauer gleicht es einem gynäkologischen Eingriff mit »Zangen, die Geburtszangen glichen«. Wenn die Reparatur erfolgreich abgeschlossen ist, hat sich das Maschinchen verwandelt: Alle Zärtlichkeit ist durch den Kraftakt verschwunden, die Liebe ist erloschen, und die »Maschine«, zu der sich das »Maschinchen« gewandelt hat, läßt sich »wie ein Ding« gebrauchen. Nun ist es zum käuflichen Objekt degradiert. Deshalb lohnt es sich für den Ich-Erzähler nicht, »ihr nachzutrauern«, und er sucht nun dürftigen Trost bei anderen Frauen.

Mit dieser Entzauberung des Maschinchens verwandelt sich auch die Autorschaft, die sich auch hier - wie bei Polgar - mit der Maschine verbindet. Nicht nur wird der sanfte Musenkuß abgelöst durch den gynäkologischen Gewaltakt, mit dem der neue Autor der Maschine seinen Text entreißt, statt sie selbst den ihrigen produzieren zu lassen. Auch die Schrift, welche die Maschine ausspuckt, wandelt sich: Am Anfang entstehen unter den klimpernden Händen des Ich-Erzählers noch »herrliche Gebilde aus Zeichen«. Sie verdanken sich gerade jener Taste mit den französischen Zeichen, die im deutschen Schriftbild disfunktional sind:

»Doch für mich war gerade diese Taste unentbehrlich, da ich mit ihr besondere Kombinationen durchzuführen vermochte. Ich schlug etwa die cédille in langer Kette an und stellte darüber den accent circonflexe. Nun saß er wie ein Dach auf dem Leeren, aus dem ein Schwänzchen schlüpfte. Setzte ich ein e dazwischen, so war die cédille überflüssig, und das c hatte unter dem Dach nichts verloren. Die Beschäftigung mit diesen Problemen, deren Feinheit mich wieder und wieder entzückte, wurde durch die Lähmung der Taste verhindert.«

In solchen Fingerübungen mit den fremden Zeichen entstehen analoge »Buchstabenbilder«, »die nicht die geringste Andeutung eines Sinnes enthielten«. Eine archaische Bilderschrift entsteht aus der französisch-fremden, randständigen Tastenkombination. Dem gewöhnlichen Benutzer scheint sie unverständlich. Dem literaturwissenschaftlichen Schreibhandwerker hingegen wird sie in vielfacher Weise lesbar: Literaturhistorisch gelesen ein Rückgriff auf die romantische Chiffrenschrift, die den Feuilletonbetrieb der Moderne subvertiert und gleichzeitig die Verbindung zur Avantgarde, zur »écriture automatique« und zur konkreten Lyrik schlägt. Poststrukturalistisch gelesen läßt sich hier ein semiotisches Pulsieren mitten im symbolischen Letternfeld hören; feministisch gelesen entsteht "écriture féminine" aus der Verweigerung des patriarchalischen Phallogozentrismus. Und in kulturwissenschaftlicher Deutung ist es das fremde Zeichen, das sich als hybridisierendes Element in die nationale Klaviatur einschleicht und deren Homogenität und Universalitätsanspruch von innen her auflöst.

Dies bestätigt sich ex negativo, nachdem das »Maschinchen« unter den Fingern des fremden Mannes seine Unschuld verloren hat. Denn um den Erfolg seiner Reparatur zu demonstrieren, diktiert er der Maschine nun seinen eigenen Text, statt diese selbst schreiben zu lassen: »Er tippte, wie die Leute zu sagen pflegen. Ohne eigentlich hinzublicken, sah ich: die Taste ging. Auf dem Bogen stand geschrieben: fête, ça, maître, ma chère. Durch private Fortbildung, erklärte der Mann, habe er sich alle französischen Vokabeln angeeignet, die für sachgemäße Reparaturen erforderlich seien.« Eine kolonialistische Appropriation des Fremden, eine männliche Machtgebärde, eine Liebeserklärung, welche sich die vergewaltigte Maschine - »ma chère« - auch noch selbst einschreiben muß: All dies zeigt den Wandel vom analogischen »Buchstabenbild« zum digitalen Aufschreibsystem. In dieses fügt sich der Ich-Erzähler am Schluß: auch er schreibt nun auf der Maschine seine »Korrespondenzen, Rechnungen und Betrachtungen gefälliger Art«. Die Trauer des Tippens und die Trauer im Tippen bleibt dem Text jedoch eingeschrieben: Das Schreibgerät ist nun nicht mehr die allernächste Muse des Schreibens, und die Schreibmaschine schreibt sich selbst nicht mehr. Diese Verlusterfahrung steht nun über jedem getippten Buchstaben, als sein verborgener »accent grave«.

Dies ist das heimliche Motiv, das die Tastaturtäter im Internet zu den Rückgriffen auf das Schreibmaschinenzeitalter verführt: An der historischen Stelle, die das Benjamin-Zitat bezeichnet, im Umbruch zur Mechanisierung der Schrift, wird jenes Defizit an ästhetischer Produktivität und Selbsttätigkeit des Schreibens offenbar noch spürbar und literarisch produktiv, das der Preis der Digitalisierung sein wird. Was dabei verloren geht, ist die »Zärtlichkeit«. Die »kraftvolle Zartheit«, die Walser der Handschrift zuschreibt, rettet Polgar noch in das »zarte Geklapper der Letternhebel«, und Kracauer steigert dies zu einer Liebesgeschichte mit dem »zarten Maschinchen«, dessen »leichte Berührung« »glücklich macht«. Unter dem neuen »Fingergesetz« der Moderne scheint mit diesen Gesten der Zärtlichkeit auch die literarische Inspiration verloren, die in den Tasten selbst steckt.

Heute, wo die Finger nur noch über die Tasten zu huschen brauchen, könnte diese Erotik der Tastatur eine neue Qualität erreichen. Doch die Tasten lösen als Schalter nurmehr digitale Impulse aus, setzen kein analoges Hebelwerk mehr in Gang, scheinen aseptisch und standardisiert. Zärtliche Fingerbewegungen erfährt höchstens noch die Computermaus. Umso unbarmherziger haut man dafür in die Tasten. Literarisierte Liebeserklärungen an die Tastatur finden sich in den Hyperfictions der Netzliteratur nicht. Dafür ist der melancholische Rückgriff auf Benjamin ein Indiz: Das Zitat aus dem Schreibmaschinenzeitalter muß offenbar die Zärtlichkeit ersetzen, die der Griff in die Tasten nicht mehr auslösen kann. Es wäre an der Zeit, daß sich die Autoren vor ihren kaltblauen Bildschirmen auch für ihr eigenes Schreibgerät erwärmen und sich direkt an ihm inspirieren, wie einst ihre Vorgänger, die fingerfertigen Feuilletonisten. Denn sonst werden sich die Tastaturen ihre eigene Liebeserklärung selbst schreiben, und uns bleibt dann nur, vor den Mattscheiben vor Neid zu erblassen.


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