Alfred Polgar:
DIE SCHREIBMASCHINE
Erstdruck in: »Prager Tagblatt«, 1. 10. 1922, wieder abgedruckt in: Alfred Polgar: Kleine Schriften. Hrsg. v. M. Reich-Ranicki u. U. Weinzierl. Reinbek 1984, Bd. 4, S. 246-248.
Geist, Phantasie, Einfall: alles recht gut. Aber wichtiger ist die Schreibmaschine. Mit ihrer Hilfe geht alles Dichten zwanzigmal so schön. Bleistift und Feder sind totes Material. Es genügt leider nicht, sie in die Hand zu nehmen und übers Papier laufen zu lassen, damit sie schreiben. Man muß sie zu Lettern und Worten zwingen. Das ist mühevoll und belädt mit Verantwortung.
Die Schreibmaschine hingegen kann gar nicht anders als schreiben, das ist ihr Mutterlaut, ihre einzige und natürliche Expression. Du phantasierst mit den zehn Fingern über die Tastatur, und wenn du ein bißchen Glück hast, ist eine moderne Dichtung mit vier Durchschlägen fertig.
Denn die Schreibmaschine lebt. Wie das Klavier voll Klängen, steckt sie voll Sinn und Wort, ja, es ist geradezu kein Sinn und Wort denkbar, die nicht in ihr steckten. Ein unerschöpflicher Quell und Born der Dichtkunst, ein Vater Nil der Literatur, befruchtet sie und die Finger, die sie umspült. Mein Freund und Nachbar, der ausgezeichnete Schriftsteller, hat eine Schreibmaschine. Eigentlich hat sie ihn (aber das kommt auf das gleiche heraus). Er ist mit ihr verwachsen - man weiß nicht, wo er aufhört und sie anfängt - wie der Kavallerist mit seinem Pferde. Fünfundzwanzig Stunden täglich sitzt er vor der Klappernden und kommt ihrer Produktion doch nicht nach. Seine Fruchtbarkeit beschämt das regsame Kaninchen. »Nur die Schreibmaschine macht das«, gesteht er ohne Hochmut. In der Tat scheint es, als gebe auf ihr, wie man sagt: ein Wort das andere. Unwillkürlich webt sich unter den tastenden Fingern die Kette. Ist das Instrument heiß gelaufen, so spielt es den Spieler. Da steckt das Mysterium.
Und darin unterscheidet sich auch, denke ich, die Schreibmaschine von allen anderen Maschinen: sie leistet nicht nur physische, sondern auch geistige Arbeit. Sie nimmt dem Dichter gut fünfzig Prozent schöpferischen Schweißes ab. Die vierundzwanzig gehorsamst versammelten Buchstaben haben inspirative Gewalt, sie sind Kobolde von geschäftigster Dienstwilligkeit, die zur Inanspruchnahme locken, vierundzwanzig äußerst sinnliche Wesen, die sich untereinander zu begatten wünschen und des Menschen kupplerische Instinkte reizen. Das zarte Geklapper der Letternhebel, das metallische Klingen der Verschiebung, das Glöckchen, dessen helle Kinderstimme die Zeilendenden ausruft: das gibt einen Rhythmus, der das Hirn mitschwingen macht, eine Melodie, die unwiderstehlich Text ansaugt. Wie kraftlos dagegen ist das Kratzen der Feder oder das weiche Gemurmel des Graphits!
Ein wirklich unschätzbarer Vorteil der Schreibmaschine ist auch, daß sie ein Dichten mit beiden Händen ermöglicht. Damit wurde für die Schrift gewonnen, was bisher ein wesentliches Privileg der Rede war. Für die Literatur als Kunst wird die Schreibmaschine freilich erst dann was Rechtes bedeuten, bis ihre wunderbaren Kräfte ungeschwächt durch das trübe Medium des angehängten Schriftstellers zur Auswirkung kommen werden. Die Entwicklung muß hier, wie bei jeder Maschine, dahin streben, die notwendige menschliche Mitarbeit immer mehr und mehr einzuschränken. Der Tag, an dem es gelungen sein wird, den Schriftsteller ganz auszuschalten und die Schreibmaschine unmittelbar in Tätigkeit zu setzen, wird das große Zeitalter neuer Dichtkunst einleiten.
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