DIE METAPHER ALS BEOBACHTUNGSFORM ZWEITER ORDNUNG

Das wissenschaftliche Interesse an der Metapher ist seit der Antike ausserordentlich gross und breit gestreut: Rhetorik, Philosophie, Logik, Literaturwissenschaft, Linguistik, Psychologie oder Anthropologie behandeln und beleuchten aus ihrer Sicht Aspekte der Metapher und zeugen damit von einem interdisziplinären Interesse. Der Grund dafür mag darin liegen, dass die Metaphern-Problematik oft stellvertretend für die ganze Sprachproblematik behandelt wird. Doch sowenig wie eine einheitliche Sprachtheorie gibt es eine einheitliche Metapherntheorie. Vielmehr sind sehr unterschiedliche, sich konkurrenzierende Ansätze zu beobachten, weshalb die Metaphern-Problematik auch schon als 'Umschlagplatz der neueren Theoriebildung' beschrieben worden ist.

So unterschiedlich die methodischen Ansätze, so unterschiedlich die Metaphernbegriffe. Geht etwa Gérard Genette von einem überaus präzisen Metaphernbegriff aus, der an die antike Rhetorik-Tradition anknüpft und der "tropologischen Reduktion", welche die Rhetorik im 18. und 19. Jahrhundert erfahren hat, Gegensteuer geben soll, so wird der Begriff der Metapher beispielsweise bei Paul de Man sehr viel weiter gefasst: er vereint hier alle Sinnverschiebungsphänomene in sich, und auch wenn diese gegenwärtig weithin zu beobachtende Verschiebung von Metapher zu Metaphorizität mit einer gewissen Vagheit notwendigerweise zu kämpfen hat, so führt sie m. E. doch zu wesentlich mehr Erkenntnisgewinn, als die nur schwer handhabbare, relativ starre Konzeption von Genette. So zeigt de Man etwa anhand historischer Textbeispiele aus der Philosophie (Locke, Condillac, Kant) sehr anschaulich die rhetorische Verfasstheit von Sprache auf - das Apriori jeglicher menschlicher Kommunikation. Er spricht zusammenfassend von der "Vergeblichkeit jedes Versuchs, die rhetorische Sturktur von Texten im Namen von unkritisch vorausgesetzten Textmodellen wie transzendentalen Teleologien oder, am anderen Ende des Spektrums, blossen Codes zu unterdrücken." Rhetorik ist damit für de Man weit von der blossen ‘Lehre und Kunst der richtigen Rede’ der Antike enfernt, wird vielmehr zur epistemologischen Disziplin: "Literarische Codes sind Subcodes eines Systems, der Rhetorik, das nicht seinerseits wieder ein Code ist. Denn die Rhetorik kann von ihrer epistemologischen Funktion nicht isoliert werden." Die Rhetorik dient hier also nicht mehr nur der Produktion und Analyse von kunstgerechter Rede, sondern wird zu einer Art Werkzeug, mit Hilfe dessen der Mensch sich Zugang zur Welt schafft. Rhetorik hat damit unmittelbar Teil an der menschlichen Wahrnehmung von Welt. Es liegt nun nahe, dieses erkenntnistheoretische und im Ansatz bereits konstruktivistische Rhetorik-Verständnis mit einer konstruktivistischen Theorieoption, wie sie die Systemtheorie von Niklas Luhmann darstellt, in Verbindung zu bringen. Die Heranführung der Systemtheorie ist dabei deshalb besonders sinnvoll, weil m. E. Sprachephänomene, wie beispielsweise die Metapher, nicht schlüssig behandelt werden können, wenn nicht die Sprache in ihrer Funktion im Rahmen der menschlichen Kommunikation eingehend bedacht wird. Und gerade in diesem Bereich hat Luhmanns Systemtheorie Erkenntnisse geliefert, welche es erlauben, auch die Metapher in einem ganz neuen Licht zu sehen und in ungewohnter Begrifflichkeit zu formulieren.

Niklas Luhmann hat sich - was bei seiner Textproduktion erstaunen mag - selber nie explizit zur Metaphern-Problematik geäussert. Eine Sichtweise der Metapher als Beobachtungsform zweiter Ordnung, wie sie hier vertreten wird, passt sich - wie nun aufgezeigt werden soll - jedoch durchaus in das Luhmann’sche Theoriedesign ein.

Ausgangspunkt der folgenden Überlegung ist die Annahme, dass dem Menschen der direkte kognitive Zugang zur Welt verwehrt ist. Welt ist immer nur als Eigenleistung eines psychischen Systems zu sehen, welches sich mittels der Beobachtung von seiner (Um-)Welt abgrenzt. Unter ‘Beobachtung’ ist eine besondere Art der Handhabung einer Unterscheidung zu verstehen, die ihrer Form nach paradox konstituiert ist. Denn es geht um die gleichzeitige Aktualisierung von zwei Unterscheidungen. Zuerst wird eine Unterscheidung gesetzt, und ‘danach’ (eigentlich eben: gleichzeitig) die Bezeichnung der einen Seite der Unterscheidung vorgenommen. Damit entsteht ein Asymmetrie-Verhältnis zwischen der bezeichneten und der nicht bezeichneten Seite der Unterscheidung. Letztere wird auf dieser Ebene der Beobachtung uninteressant, nur auf der bezeichneten Seite, wo ja eine Referenz erzeugt wurde, kann es weitergehen. Doch es kann nicht nur weitergehen, es muss sogar weitergehen: Denn die Operation der Beobachtung kann nicht sehen, was sie tut. Sie ist auf weitere Verknüpfung angewiesen, darauf, dass es auf der von ihr bezeichneten Seite weitergeht, denn sonst bleibt das ganze Operieren wirkungslos. Beobachtung steht demnach stark unter dem Imperativ der Autopoiesis, und als Beobachter wird somit immer ein autopoietisches System erkennbar.

Auf diese Weise wird Differenz gesetzt und Identität geschaffen. Identität, die nicht von vornherein da ist und die eine gewisse Welt einführt. Denn alles Seiende ist beobachterabhängig, also davon abhängig, wie man hinsieht. Es wird damit zwar nicht an der Existenz einer Welt gezweifelt, jedoch sehr wohl an der Möglichkeit, einen unverfälschten kognitiven Zugriff auf diese Welt zu erreichen. Die Welt präsentiert sich einem Beobachter immer so, wie er sie im betreffenden Augenblick sieht, also als seine spezifische Welt und ist in keinem Falle objektivierbar. Dazu müsste ein Beobachter aus der Welt treten und diese als Einheit erfassen können. Diese Überlegungen implizieren, dass sich ein Beobachter beim Beobachten auch nicht mitbeobachten kann. Der ‘blinde Fleck’, die Tatsache, dass beim Sehen zwangsläufig gewisse Dinge nicht mitgesehen werden können, ist und bleibt unumstössliche Grundvoraussetzung jeglichen Beobachtens. "Sehen ist Nichtsehen." Die Welt an und für sich bleibt damit unbeobachtbar, ein situations- und beobachterabhängiges Konstrukt. Unser Erkennen der Welt wird damit als sehr relativ ausgewiesen und unser ‘herkömmliches’ Weltbild wesentlich erschüttert. Es gibt keine gesicherte, objektivierbare, keine beobachtbare Welt mehr. Luhmann fordert deshalb eine Abkehr vom ‘alteuropäischen’ (d. h. ontologischen) Denken und stellt seine Theorie von ‘Was-Fragen’ gänzlich auf ‘Wie-Fragen’ um. Wie (!) ist das gemeint?

Die oben geschilderte Beobachtungsart bezeichnet Luhmann als ‘Beobachtung erster Ordnung’. Sie generiert beobachterabhängige Entitäten. Für eine Beschreibung der Gesellschaft - und auf sie zielt die Systemtheorie als genuin soziologische Theorie ab - ist sie wenig ergiebig, da sie unzählige Welten erzeugt, so viele nämlich, wie Beobachter zu finden sind. Ergiebiger als die Frage nach den Entitäten in der Welt (also: dem ‘Was’) scheint deshalb jene nach der Art der Erzeugung dieser Entitäten (also: dem ‘Wie’). Von der ontologischen Ebene muss zu diesem Zweck auf die Ebene der Konstruktion gewechselt werden. Dies ist die Ebene der Beobachtung zweiter Ordnung. Eine Beobachtung dieser Kategorie bezieht sich auf eine bereits vollzogene Beobachtung - impliziert also einen Zeitgebrauch, weshalb nie gleichzeitig eine Beobachtung erster und eine Beobachtung zweiter Ordnung erfolgt - und kann dabei deren Mängel - das Nichtsehen - aufheben, indem sie die Unterscheidung, welche benutzt wurde, als Ganzes zu beobachten in der Lage ist. Dabei ist sie ihrerseits aber wiederum ‘blind’, weil sie das eigene Beobachten wiederum nicht mitbeobachten kann. Dies gilt ohne Ausnahme für Beobachtungen aller Ebenen und damit auch für jene der Wissenschaft: "[Auch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind] nur Ratten, die andere Ratten im Labyrinth beobachten - aus irgendeiner gut gewählten Ecke heraus". Und dies gilt ebenso für die Systemtheorie selber, weshalb sie auch weder "Widerspiegelung der kompletten Realität des Gegenstandes[, noch] Ausschliesslichkeit des Wahrheitsanspruchs im Verhältnis zu anderen, konkurrierenden Theorieunternehmungen" für sich beansprucht. Statt sich also auf der Ebene der Beobachtung erster Ordnung mit unzähligen ungesicherten Weltbildern in einer konstitutiv unbeobachtbaren Welt auseinanderzusetzen, hält sich die Systemtheorie an die als realer Vorgang beobachtbare Operation ‘Beobachtung’.

Sprache wird nun in der Systemtheorie als Beobachtungsform erster Ordnung konzipiert. Sie ist in ihrer mündlichen Form als "Prozessieren von Sinn im Medium der Lautlichkeit" zu verstehen. Dabei generiert sie als künstlich hergestellt erkennbare Worte, in welchen die Unterscheidung von Mitteilung und Information schon angelegt ist (denn wenn jemand auf Sprache eingeht, so immer unter der Annahme, es werde etwas mitgeteilt, was Informationscharakter hat), und die darum weitere Wortbildung gleichsam erzwingt und auf diese Weise für die Fortsetzung der Kommunikation sorgt. Dem beteiligten psychischen System weist Sprache ausserdem über den unmittelbaren Kontext hinaus, womit die (vorsprachliche) "Gleichzeitigkeit des Wahrnehmens und des Wahrgenommenen" gebrochen wird. Dies gelingt jedoch nur, indem ganz spezifische Anforderungen an die Wahrnehmung gestellt werden: Diese muss durchschauen können, "dass die Worte nicht die Gegenstände der Sachwelt sind, sondern sie nur bezeichnen". Sprache muss also Wahrnehmung in einer ‘abweichenden’ Weise instrumentalisieren, um die Zeichen als solche zu erkennen und nicht bei den Lautfolgen (mündliche Sprache) oder der Druckerschwärze (schriftliche Sprache) stehenzubleiben. Sprache generiert damit einen eigenen Phänomenbereich, jener der semiotischen Realität.

Die Metapher macht nun einen anderen Gebrauch von Wahrnehmung, als die Alltagssprache: Hier geht die Bewegung von der Materialität des sprachlichen Zeichens hin zur Bedeutung, und - weil diese in ihrem alltäglichen Sinn nicht in die gegebene sprachliche Umgebung passen mag - wieder zurück zum materiellen Zeichen. Im Gegensatz zu dem ‘abweichenden Gebrauch’ der Wahrnehmung durch Sprache, die auf Referentialität setzt, liegt hier also gewissermassen ein ‘doppelt abweichender Gebrauch’ vor - oder, wie auch in der Kunstkommunikation, ein "zweckentfremdeter Gebrauch von Wahrnehmung". Es wird nun nicht mehr nur auf Referenz, sondern allein auf Referenz auf sich selber, auf Selbstreferenz also gesetzt. Damit ist eine Stufenleiter von Wahrnehmungsarten erkennbar: Unmittelbare Wahrnehmung im nicht-zeichenhaften Alltag, mittelbar-referentielle (sprachliche) Wahrnehmung über Zeichen, mittelbar-selbstreferentielle (ästhetische) Wahrnehmung über metaphorischen Sprachgebrauch oder über Kunstwerke.

Die Beobachtungsweise der Metapher ist also - genau wie auch im Bereich der Kunst - jene der zweiten Ordnung: Der ‘blinde Fleck’ des Textproduzenten, das heisst, die Konstruiertheit des Textes, muss im metaphorischen Sprachgebrauch zwangsläufig erkannt werden, soll der gewünschte Effekt zustande kommen. Die Wahrnehmung oszilliert dabei - einem ‘loop’ in der elektronischen Musik vergleichbar - ständig zwischen Überraschung und Wiedererkennen, und es ist die Metapher, welche die Einheit dieser Unterscheidung präsentieren kann.

Die Metapher kann in diesem Sinne als eine Vorstufe des Kunstsystems verstanden werden: Genau wie die Kunst macht auch sie auf ihre Konstruiertheit aufmerksam und verbirgt die eigene Relativität nicht. Aber anders als die Kunst referiert sie - ausser in explizit kunstspezifischer Verwendung - oft nicht auf eine vollkommen durchstrukturierte ästhetische Welt, sondern auf eine Alltagssituation. Ähnlich dem Ornamentum im visuellen Bereich kann deshalb auch die Metapher gewissermassen als ‘Trainingsfeld’ für neue, gewagte Formenbildung im Medium der Sprache verstanden werden. Es gilt für das metaphorischen Sprechen das, was Luhmann im Hinblick auf das Ornament formuliert hat:

"Ornamente sind Rekursionen, Rückgriffe und Vorgriffe, die sich als solche fortsetzen. Sie lassen die Einheit von Redundanz und Varietät erscheinen. Dabei werden die Übergänge unkenntlich gemacht, zumindest nicht als Brüche betont, denn jede Stelle im Ornament ist zugleich die andere einer anderen. [...] Das Ornament erzeugt seinen eigenen imaginären Raum durch eine laufende Verwandlung von Formgrenzen in mehrdeutigen Übergängen. Es verhindert den Zerfall des Kunstwerks in einzelne Gestalten, denen man sich zuwenden, von denen man sich abwenden kann."


Wie das Ornament im Rück- und Vorgreifen auf Formen lässt sich auch die Metapher als Beobachtungsform zweiter Ordnung nicht eindeutig festlegen: sie oszilliert ständig zwischen Überraschung und Wiedererkennen und kann sich dabei nicht endgültig auf eine Seite schlagen. Jede Sinnkomponente ist die andere Seite einer weiteren Sinnkomponente, und auf diese Weise eröffnet auch die Metapher einen imaginären Raum durch das ständige Fliessen von Sinn, welches dem Kunstwerk - wie im Falle des Ornaments - ebenso die Festlegung und den Zerfall in Einzelkomponenten erspart.

Die hier herausgearbeiteten Paralellen zwischen dem Ornament und der Metapher legen den Schluss nahe, dass nicht nur das Ornament, sondern auch das metaphorische Sprechen im Modus der Bobachtung zweiter Ordnung als Attraktor für Formen einen entscheidende Beitrag an die Herausbildung des funktional differenzierten und autonomen gesellschaftlichen Teilsystems ‘Kunst’ geleistet hat.



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